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Kompetenzorientiertes Recruiting: Die Suche nach den Richtigen

Ein Team braucht nicht die besten Individualisten, sondern muss harmonieren, ist Unternehmensexperte Gerhard Furtmüller überzeugt.

Ohne den richtigen (Studien-)Abschluss wurden Bewerberinnen und Bewerber bis vor wenigen Jahren de facto sofort ausgesiebt. Der Vorteil dieses sogenannten Recruitings nach Qualifikation, bei dem diejenigen Bewerbungen aussortiert werden, die den formalen Anforderungen nicht gerecht werden, liegt auf der Hand: Der Auswahlprozess spart Zeit.

Beim kompetenzorientierten Recruiting zählt, was man kann

Menschen, die die formalen Voraussetzungen nicht erfüllen, aber vielleicht doch gut auf die Stelle passen würden, fallen hier jedoch durchs Raster. Beim kompetenzorientierten Recruiting dagegen zählt, was ein Mensch tatsächlich kann. Und das sei häufig eben nicht an Zertifikate gekoppelt, ist Gerhard Furtmüller überzeugt. In der modernen Arbeitswelt gebe es viele Möglichkeiten, Fähigkeiten zu erwerben und zu vertiefen, ohne dafür offizielle Zertifikate erwerben zu müssen. Furtmüller ist Experte für Unternehmenssimulation und lehrt unter anderem an der Universität Salzburg und an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Wir sehen uns heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert", sagt er. "Um diese bewältigen zu können, kommt es mittlerweile weniger auf Qualifikationen, sondern vielmehr auf Kompetenzen an."

Bewerbungshürden senken: Persönlicher Kontakt im Recruitingprozess ist ausschlaggebend

Das IT-Unternehmen IBM etwa startete 2018 ein Pilotprojekt und begann IT-Fachkräfte auch ohne Bachelorabschluss einzustellen. Eine Auswertung vier Jahre später zeigte: Der Bedarf war gedeckt, die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellten sich mitunter als geeigneter für die einzelnen Stellen als die akademisch vorgebildeten heraus. Auch der Softwarekonzern SAP kündigte im Dezember 2022 an, Hürden für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber zu senken.

Andere Unternehmen verzichten in Zeiten des Fachkräftemangels auf das Motivationsschreiben, um den Bewerbungsprozess möglichst einfach zu gestalten. Der deutsche Versandhändler Otto beispielsweise tut dies bereits seit 2016. Auch beim Raiffeisenverband Salzburg gibt es Stellen, für die ein Motivationsschreiben nicht mehr zwingend notwendig ist. "Wir sind angehalten, den Recruitingprozess möglichst einfach zu gestalten. Bewerberinnen und Bewerber sind rar gesät. Sind die Anforderungen zu hoch, suchen sie sich einen anderen, einfacheren Weg", erläutert Markus Winkelmeier, der das Personalmanagement beim Raiffeisenverband Salzburg leitet. Oft reiche der Link zum LinkedIn- oder Xing-Profil.

"Wir setzen auf den persönlichen Kontakt", sagt der Personalmanager. "Wenn die Hard Facts für uns stimmen, schauen wir im Bewerbungsgespräch, ob wir zusammenpassen. Ob es wirklich stimmig ist, zeigt sich dann in den ersten Arbeitstagen." Wie man Kompetenzen, die nicht durch Zertifikate belegt sind, vorab überprüft? "Durch situatives Fragen im Vorstellungsgespräch", schlägt Furtmüller vor. Die Fähigkeiten des Bewerbers frühzeitig zu testen sei eine gute Möglichkeit, um zu prüfen, ob sie den Anforderungen der Stelle entsprechen.

Kompetenzen bringen Diversität ins Team

"Eine Kombination aus Recruiting nach Qualifikation und Kompetenz bietet auch die Möglichkeit, ein vielfältigeres Team mit einem breiteren Wissensspektrum zusammenzustellen", ist Betriebswirt Gerhard Furtmüller überzeugt. "Da diese potenziellen Kandidaten aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen und auf unterschiedliche Weise ausgebildet wurden, bringen sie auch ein sehr breites Wissen und damit auch viele neue Sichtweisen mit."

Für ihn dabei ausschlaggebend: "Ich brauche ein harmonierendes Team, nicht die besten Individualisten." Die Frage schlechthin, die man sich im Personalmanagement stellen müsse, sei daher: Wie bekomme ich die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Und nicht: Wie bekomme ich die besten? Der Frage, wie man diese Richtigen findet, geht Furtmüller im Nachschlagewerk "Personalmanagement - Führung - Organisation" nach. Das Handbuch zum Thema Personalorganisation erscheint Mitte September in der bereits sechsten Auflage. Gemeinsam mit seinen beiden Mitherausgebern Wolfgang Mayrhofer und Helmut Kasper führt er auf Basis vielfältiger theoretischer Zugänge Studierende und interessierte Praktikerinnen und Praktiker in zentrale management- und organisationstheoretische Problemstellungen ein, die aus dem Zusammenspiel von Menschen und Organisationen entstehen.

Welche Wege es noch gibt, um die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden?

"Geschickte Unternehmen schauen, wie sie ihr Netzwerk bespielen. Das wird künftig über Erfolg und Misserfolg entscheiden", so Furtmüller. Er nennt auch "Freunde werben Freunde", bei dem Unternehmen Prämien an Beschäftigte vergeben, die passende neue Kolleginnen und Kollegen ins Boot holen, als einen möglichen Ansatz: "Das ist ein wichtiges Werkzeug zur Vorsozialisierung. Die Wahrscheinlichkeit, die Richtigen zu finden, wird durch den Freundeskreis erhöht. Das Employer Branding passiert nebenbei, authentisch und kostenlos: Kommunikation im Umfeld passiert laufend, nicht einmalig wie bei einer Stellenanzeige. Außerdem findet man so gute, loyale Leute - heute ein wichtiger Wert."

Mayrhofer | Furtmüller | Kasper (Hrsg.): „Personalmanagement – Führung – Organisation“. Linde international.
Mayrhofer | Furtmüller | Kasper (Hrsg.): „Personalmanagement – Führung – Organisation“. Linde international.