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Fassadenbepflanzung: Begrünte Wände, um Städte zu kühlen

Nachhaltigkeit trifft Ästhetik: Von einem, der auszog, um die Welt ein bisschen grüner zu machen. Johannes Leitner hat sich mit seinem Unternehmen Green Urban Life auf vertikale Bepflanzungen spezialisiert.

Pflanzen können Temperaturschwankungen mindern und dadurch Heizkosten verringern.
Pflanzen können Temperaturschwankungen mindern und dadurch Heizkosten verringern.
Kunstvolle Fassadenbegrünung in der Schweiz.
Kunstvolle Fassadenbegrünung in der Schweiz.

Die mächtige Fassade des Caixa-Forums bietet Touristen einen fantastischen Anblick: Auf rund 600 Quadratmetern Fläche wuchert ein riesiges grünes Pflanzenpotpourri an der Wand des berühmten Madrider Kulturzentrums. Geschaffen hat das Vertikalkunstwerk der französische Botaniker und Planer Patrick Blanc. Bis heute gilt er als Wegbereiter der urbanen Begrünung. Die Madrilenen dürften ihn für ihren ersten hängenden Garten wahrscheinlich jedes Jahr ein bisschen mehr feiern: Erst im vergangenen Sommer kletterten die Temperaturen in der spanischen Hauptstadt auf beinahe unerträgliche 46 Grad. Wenig besser ist es in anderen Städten Europas. Von Rom über Belgrad bis Wien ächzen Metropolen unter den steigenden Temperaturen, die der Klimawandel mit sich bringt.

Urbane Räume mit Pflanzen kühlen

Pflanzen an Häusern und Fassaden wachsen zu lassen ist ein ebenso naheliegender wie genialer Ansatz, um - vor allem - urbane Räume zu kühlen. Durch Verdunstung senken Grünpflanzen nicht nur die Oberflächen- und Umgebungstemperatur, sie fördern auch den Luftaustausch und spenden wertvollen Schatten. Dass sich die Liste an nutzbringenden Eigenschaften noch um viele weitere Punkte ergänzen lässt, weiß auch Johannes Leitner aus Hartberg. Der Steirer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der technischen Entwicklung von Begrünungssystemen und weiß um die vielen Vorteile. "Pflanzen binden Luftschadstoffe und mindern die Lärmbelastung. Ein Quadratmeter Begrünung entzieht der Umgebung rund 2,3 Kilogramm CO₂ und produziert im Gegenzug 1,7 Kilogramm Sauerstoff", verdeutlicht er. "So gesehen zählt jeder Quadratmeter grüne Fläche."

Anders als die meisten seiner Mitstreiter in der Branche ist der Hartberger über Umwege mit dem Metier der Fassadenbepflanzung in Berührung gekommen. "Ich habe mich eine Zeit lang intensiv mit bewachsenen Skulpturen beschäftigt", schildert der Künstler. "Damals war ich viel für Kunden aus dem Mittleren Osten tätig. In diesen Ländern hatte Begrünung schon immer einen ganz anderen Stellenwert." In den Folgejahren haben die Projekte dann immer weitere Kreise gezogen und sich in Richtung Gebäude und Architektur weiterentwickelt. Leitner: "Meine Vision war es, ganze Städte in Grün zu tauchen und Fassadenbepflanzung als fixe Größe in der Architektur und Stadtplanung zu etablieren." Welche verheerenden Auswirkungen mit dem Rückgang der Natur in den Megacitys verbunden sind, hat er auf seinen zahlreichen Reisen selbst erlebt. Etwa in Mexico City, wo es durch die dichte Bebauung immer öfter zu einem Heat-Island-Effekt komme. "Die Luft kann kaum noch zirkulieren und die Temperaturen erreichen quälende Werte."

Housing für die Pflanzen, die die Fassade begrünen

Nach mehreren Jahren der Entwicklung hat der Steirer 2010 sein erstes Begrünungssystem auf den Markt gebracht und seither stetig weiterentwickelt. Aktuell bietet er mit seinem Unternehmen Green Urban Life Indoor- und Outdoorlösungen in mehreren Gestaltungsvarianten an. Anders als Patrick Blanc setzt Leitner bei seinen Systemkomponenten nicht auf Textilien als Grundlage, sondern hat mit seinem "Housingkonzept" ein eigenständiges, bodenunabhängiges Verfahren für Fassadenbegrünung entwickelt.

Die wichtigsten Systemkomponenten bilden dabei Pflanzenkokons aus Edelstahl, die auf einem Paneel aufgebracht sind. Alle "Zellen" sind mit einer Membran und Sensoren ausgestattet, die gewährleisten, dass jede Pflanze individuell bewässert und mit Nährstoffen versorgt wird. Zulauf und Ablauf werden computergesteuert geregelt. "Auf diese Weise ist es möglich, Feuchtigkeit, Klimatisierung und Kühlung punktgenau zu regulieren", erklärt Leitner. "Unsere Technologie kann so schon im Vorfeld gezielt auf angekündigte Hitzeperioden oder Feinstaubbelastungen reagieren." Durch die Verdunstungskühlung der Pflanzen in Verbindung mit Edelstahl lasse sich die Temperatur von Gebäudehüllen um bis zu 12 Grad Celsius reduzieren, erklärt der Unternehmer. Recyclingfähig sei das System zu 99 Prozent.

"Ein großes Thema wird für uns künftig auch die Sanierung sein."
Johannes Leitner
GF Green Urban Life

Pflege und Wartung des Begrünungssystems

Nach welchen Kriterien werden die Pflanzen ausgewählt? "In der Regel erstellen wir für unsere Kunden einen Bepflanzungsvorschlag", führt Leitner aus. "In unseren Breitengraden wird die Auswahl durch das Klima ohnehin stark vordefiniert", sagt er, "zu berücksichtigen ist natürlich auch der Standort." Bepflanzt werden die Module mit fertigen Vegetationsarten oder Samen. "Grundsätzlich empfehlen wir im Outdoorbereich frostbeständige, immergrüne Lösungen." Die Betreuung wird von regionalen Partnerbetrieben oder von den Eigentümern selbst übernommen. Muss eine Pflanze aussortiert werden, ist das Nachrüsten ohne Aufwand möglich. Der Kokon wird einfach mit einer neuen Pflanze bestückt.

Recycling-Verbundmaterial für die Fassadenbepflanzung

Neben seinen Edelstahlpaneelen hat das Unternehmen mittlerweile noch andere Werkstofflösungen ertüftelt. So wird unter anderem das Material von Rotorblättern dazu genutzt, um neue urbane Vegetationszonen zu schaffen. Das ist doppelt sinnvoll, weil es sich dabei um einen Kunststoff handelt, der sich wegen seiner chemischen Zusammensetzung nur schwer recyceln lässt. Statt als Sondermüll auf einer Deponie zu landen, wird das geschredderte Material in einem Verbundsystem zum Bestandteil der Pflanzenkunst an den Hausfassaden. Eines der neuesten Produkte sei ein Wüstenpaneel, verrät Leitner. Es soll in sehr heißen und extremen Klimazonen zum Einsatz kommen. Und auch in den Bereich der "vertikalen Landwirtschaft" will er einsteigen, ein Angebot soll Ende des Jahres auf den Markt kommen.

Zu welchem Zeitpunkt werden die Begrüner am sinnvollsten in ein Architekturprojekt eingebunden?

"Wünschenswerterweise sind wir von Anfang an mit dabei", sagt Leitner. "Das hat den Vorteil, dass man zum Beispiel eine Regen- oder Grauwassernutzung mitdenken und auch gleich in ein Konzept einbinden kann. Ein großes Thema wird für uns künftig auch Sanierung sein", setzt er fort, "da ist vieles möglich! Bestandsgebäude mit Grün zu bestücken wird auf jeden Fall ein wichtiger Schwerpunkt werden, vor allem in den Städten."