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Als Hollywood seine Lust an Spekulationen verlor

Der Poker um Filmdrehbücher treibt in Los Angeles absurde Blüten.

Kathrin Pilz

Im Jahr 1994 kam ich nach Los Angeles. Ben Affleck und Matt Damon hatten in diesem Jahr ihr erstes Drehbuch, welches sie ohne Auftrag "auf spec" (Verdacht) verfasst hatten, an Castle Rock verkauft. Man bezahlte 675.000 Dollar für "Good Will Hunting". Eine stolze Summe für die beiden, die bis dahin in Hollywood nur als Statisten beschäftigt waren.

Der sogenannte "Spec-Script"-Markt war Mitte der Neunzigerjahre auf seinem Höhepunkt. Jeder hatte - zumindest theoretisch - die Chance, über Nacht zum Millionär zu werden.

Es waren aufregende Zeiten, besonders Montag morgen in den Agenturen. Da liefen die Telefone heiß, um ein noch "heißeres" Skript anzukündigen, welches man den Studios Columbia, Paramount, MGM, Disney, Warner Brothers, Universal und Fox, sowie den beiden Mini-Majors Miramax und New Line Cinema anbieten wollte. Und zwar gleichzeitig. Damit hofften die Agenten, einen "Bidding War" (Bieter-Krieg) auszulösen.

Das Internet war damals noch in den Kinderschuhen. Die Drehbücher wurden fotokopiert und mit Boten über ganz Hollywood verteilt. Nicht jedes Skript wurde so heiß gehandelt, wie es sich die Agenturen wünschten, doch allein im Jahr 1995 wurden immerhin 173 dieser auf Spekulation geschriebener Drehbücher verkauft.

Viele Scripts blieben in der so genannten "Development Hell" (wörtlich: Entwicklungshölle) stecken. Aber einige davon wurden große Hits. Eine Handvoll gewann sogar Oscars: Wie zum Beispiel "Good Will Hunting" oder "American Beauty", das Alan Ball für 250.000 US-Dollar an DreamWorks verkaufte.

Oder auch "Thelma & Louise" - das erste Buch von Callie Khouri, für welches sie von Ridley Scotts Filmfirma eine halbe Million Dollar bekam.

Doch wie jeder Boom fand auch der "Spec-script"-Markt ein Ende. Im Jahr 2008 - nach etwa 18 Jahren - platzte die Blase. Die Schuld dafür gab man der Technologie: Die Einnahmen durch DVD-Verkäufe fielen zwischen 2007 und 2011 um gewaltige drei Milliarden Dollar. Auch das Internet und die Möglichkeit der emails waren der Sache nicht zuträglich. Drehbücher wurden plötzlich mit einem Klick und als kleiner Anhang versandt. Kein atemloser Kurier, keine glänzenden Agenturumschläge, keine Begleitbriefe mehr. Das Verteilen der Stoffe hatte viel an Magie verloren.

Mussten sich früher die Studiobosse auf ihren Instinkt verlassen und zuschlagen, bevor ein Konkurrent die brillante Story möglicherweise wegschnappte, so gab es über die Webseite www.tracking-board.com leichten Zugang zu Hollywoods Insiderinformation. Man konnte die Reise eines Drehbuches genau nachvollziehen. Wurde ein Skript bereits mehrmals abgelehnt, verlor es schnell an Wert.

Die Technologie ist dennoch nicht nur Feind der Autoren, sondern schafft auch ganz neue Möglichkeiten: Das e-book Phänomen "50 Shades of Grey" ist zwar kein spec-script und wird auch der Autorin keinen Literaturpreis einbringen.

Salman Rushdie meinte, er hätte noch nie so etwas schlecht Geschriebenes gelesen, das auch noch publiziert wurde. Aber das hinderte letztes Jahr die Universal Studios nicht daran, für die Filmrechte der Erotiktrilogie - nach einem Bieterkrieg - stolze fünf Millionen US-Dollar hinzublättern.