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Wo gibt es hier genug Grünstrom?

Früher siedelte sich Industrie an Flüssen an, heute dort, wo es grüne Energie gibt.

Gertraud Leimüller

In den USA zeichnet sich eine bemerkenswerte Entwicklung ab: Bisher beherbergte eine Handvoll an Regionen das technische Rückgrat des digitalen Alltags der Menschen mit Online-Shopping, Zoom-Konferenzen und Video-Streaming: Die großen Data Center wurden in der Nähe von Sillicon Valley inklusive Dallas und Phoenix gebaut, im Norden des Bundesstaats Virgina, südlich von New York City oder in Chicago. Nun ziehen die riesigen Server-Farmen hinaus auf's Land wo einst Mais- und Weizenfelder lagen und sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen: In Ohio, Georgia, Indiana, Virginia und Nevada sind großflächige Investitionen geplant, nicht nur weil dort günstig Grundstücke zu haben sind. Hauptgrund ist, dass die stark expandierenden "Hyperscaler", wie die nimmersatten Tech-Riesen Microsoft, Google und Amazon bezeichnet werden, Gegenden suchen, wo es noch verfügbaren Strom gibt und die Netze nicht so überlastet sind wie nahe der Zentren.

Eine radikale Neuvermessung des Landes, bei der es um Zugang zu Strom geht, zeichnet sich auch in Europa ab: "Wo gibt es hier Grünstrom?", lautet die neue Frage im Standortpoker. Produzierende Unternehmen ziehen dorthin, wo es saubere Energie gibt, wobei die Betonung auf Erneuerbare nicht nur mit den unmittelbaren Auswirkungen von Russlandkrieg und Klimapolitik zu tun hat, sondern mit dem Bedarf am Hoffnungs-Energieträger Wasserstoff und E-Fuels für besonders energieintensive Prozesse: Wo es nicht Überschüsse an günstigem Wind- und Sonnenstrom gibt, rechnet sich die Wasserstoffproduktion schlicht nicht. Dann muss man ihn über Tausende von Kilometern aus dem Ausland holen.

Österreich hat in diesem Spiel einen natürlichen Nachteil gegenüber windreichen nördlichen Ländern mit ihren Offshore-Anlagen, Flächenstaaten mit Platz für Photovoltaik-Farmen und dem sonnenreichen Süden. Lediglich das Burgenland hat Windstrom im Überschuss und ist daher attraktiv. Überall sonst ist die Landes- und Gemeindepolitik, sofern sie auch künftig noch für produzierende Unternehmen attraktiv sein will, aufgerufen, in die Hände zu spucken: Es braucht mehr ausgewiesene Flächen für Wind- und PV-Anlagen, schnelle Genehmigungen und wesentlich mehr Personal in den dafür zuständigen Behörden und auch politische Rückendeckung für eine rasanten Ausbau der Erneuerbaren.

Das ist nämlich neuerdings Wirtschaftspolitik. Genauso wie sich früher Mühlen, Sägewerke oder Kristallhersteller wie Swarovski entlang von Flüssen angesiedelt haben, wird es künftig nur noch dort Produktionsbetriebe geben, wo genug Grünstrom vorhanden ist.

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