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Was Kurz richtig macht. Und was falsch.

Stärken-Schwächen-Analyse anlässlich des heutigen ORF-"Sommergesprächs": Auch wer in Umfragen führt, kann seinen eigenen Wahlsieg gefährden.

Andreas Koller
Den Kanzlersessel im Blick: Sebastian Kurz.
Den Kanzlersessel im Blick: Sebastian Kurz.

Sämtliche bisher für die Nationalratswahl vom 15. Oktober angefertigten Umfragen zeigen ein eindeutiges Bild: Die ÖVP Sebastian Kurz' liegt weit voran, dahinter ringen die SPÖ Bundeskanzler Christian Kerns und die FPÖ Heinz-Christian Straches um den zweiten Platz. Auch wenn derlei Umfragen am besten nur mit spitzen Fingern angefasst werden sollten: Ein Wahlsieg Sebastian Kurz' ist nicht unwahrscheinlich. Er ist wohl nur noch zu verhindern, wenn Kurz ein eklatanter Fehler passiert. Zeit also, eine Analyse der Stärken und Schwächen des ÖVP-Kandidaten vorzunehmen, der heute, Montag, um 21.05 Uhr in ORF 2 zum "Sommergespräch" geladen ist.

Die größte Stärke Sebastian Kurz' besteht zweifellos darin, dass es ihm seit geraumer Zeit gelingt, die Themen vorzugeben. Dies vor allem in der Integrationspolitik, wo die politische Konkurrenz inklusive SPÖ nur noch reagieren, aber nicht agieren kann. Seien es Grenzkontrollen, seien es Bemühungen zur Schließung der diversen Migrationsrouten, sei es die Kritik an den NGOs vor der libyschen Küste, sei es die Kritik an den islamischen Bildungseinrichtungen - der ÖVP-Chef macht markige Ansagen, die oft genug Empörung links der Mitte auslösen - und nach einiger Zeit oft genug Allgemeingut werden. Die SPÖ-Positionierung in der Migrationspolitik lautet im Regelfall: Sebastian Kurz plus drei Monate.

Die verständlichen Bemühungen der SPÖ, den Fokus weg von der Migrations- und hin zur Sozialpolitik zu richten, unterläuft Kurz nicht ohne Geschick. Beispielsweise stimmte die ÖVP sogleich dem SPÖ-Wunsch nach einer Abschaffung des Pflegeregresses zu, auch die von der SPÖ forcierte Pensionserhöhung wurde von der ÖVP eilig durchgewinkt. Womit der SPÖ zwei wunderbare Wahlkampfschlager abhandengekommen waren.

Ein weiterer Vorteil Kurz' ist die momentane Schwäche seiner Gegner. Die SPÖ taumelt durch den Wahlkampf. Strache sah schon bessere Zeiten. Die Grünen sind in der Krise. Während die ÖVP, was selten genug der Fall ist, ein kompaktes Bild vermittelt.

Ein dritter Vorteil Kurz' - seine Eloquenz, seine persönliche Ausstrahlung - wird durch den Umstand wettgemacht, dass Christian Kern ebenso eloquent und strahlkräftig ist.

Ein vierter Vorteil ist seine Stabilität in der öffentlichen Wahrnehmung. Der heutige ÖVP-Chef hält seine guten Umfragewerte seit seiner Zeit als junger Staatssekretär. Es dürfte sich also um kein kurzfristiges Aufflackern der Wählerbegeisterung handeln wie bei SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz, der einige Wochen lang Amtsinhaberin Angela Merkel in den Schatten stellte und nun wieder tief in ihrem Umfrageschatten steht.

Und was kann den Wahlsieg des neuen ÖVP-Obmannes noch gefährden? Wohl am ehesten der Umstand, dass er nicht das gesamte bürgerliche Lager hinter sich vereint hat. Zwar regt sich weder in den ÖVP-Bünden noch in den Landesparteiorganisationen der kleinste Widerstand gegen den neuen Chef. Das kann aber nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass die ÖVP schmäler geworden ist. Gewiss: Kurz hat eine Menge interessanter Quereinsteiger dazu bewogen, ein Stück Weges mit ihm zu gehen. Doch Partei-Intellektuelle wie Heinrich Neisser unterstützen offen die Neos, hervorragende Persönlichkeiten wie Erhard Busek und Franz Fischler werden kaum eingebunden, ein Kapazunder wie Othmar Karas fristet ein Dasein nur noch am Rande der ÖVP. Etliche bürgerliche Vertreter aus dem katholischen Lager nehmen dem Integrationsminister seine Migrationspolitik übel. Und Irmgard Griss, die immer noch beträchtliche Attraktivität für bürgerlich-konservative Wähler hat, heuerte nicht bei der ÖVP an, sondern bei den Neos.

Was zur Folge hat, dass die Neos bessere Chancen denn je haben, wieder in den Nationalrat einzuziehen - mit Stimmen, die andernfalls wohl an Kurz und seine ÖVP gegangen wären. Die einst von vielen geteilte Annahme, die Übernahme der ÖVP-Obmannschaft durch Kurz würde den Neos den Garaus bereiten, hat sich nicht bewahrheitet, im Gegenteil.

Die Nichteinbindung wesentlicher bürgerlicher Schichten könnte Kurz am Wahltag entscheidende Prozentpunkte kosten - und seine Karriere gefährden. Denn mag ihm die ÖVP jetzt auch zu Füßen liegen, eines verzeiht die Volkspartei ihren Obleuten traditionellerweise nicht: Wahlen zu verlieren. Und damit die Macht der ÖVP zu gefährden.

Nächste Woche an dieser Stelle: Was Christian Kern richtig macht. Und was falsch.

Erratum: Die vergangene Woche an dieser Stelle zu lesende Aussage "Juli 2017: Ein Mann verprügelt seine Kinder und muss dafür 1800 Euro Strafe zahlen" war falsch. Der Betreffende war vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, Körperverletzung, fortgesetzter Gewaltausübung und Freiheitsentziehung freigesprochen worden. Die Verurteilung zu 1800 Euro erfolgte, weil er trotz Waffenverbots einen Pfefferspray besaß.

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